PM 14: VfD widerspricht Berichten über die Cannabisstudie der British Lung Foundation (BLF) (2002-11-17)
Joints weniger gefährlich als Studie behauptet
VfD widerspricht Berichten über die Cannabisstudie
der British Lung Foundation (BLF)
"Schon drei Joints mit reinem Cannabis richteten so viel Schaden an wie
eine ganze Schachtel Zigaretten, erklärten Vertreter der "British Lung
Foundation" unter Berufung auf eine neue Untersuchung", schrieb die
"Freie Presse" (Sachsen) am 11. November. Auch andere Zeitungen
berichteten ähnlich über die Studie der Britischen Lungenstiftung (BLF).
Der Verein für Drogenpolitik e.V. widerspricht derartigen Berichten mit
folgenden sieben Thesen:
1. Die Cannabis-Studie der "British Lung Foundation" (BLF) beruht
ausschliesslich auf bereits bisher bekannten Informationen
2. Die Aussagen der Studie sprechen nicht gegen eine Entkriminalisierung
3. In vielen Zeitungsartikeln wurden Inhalte der Studie verfälscht
wiedergegeben
4. Mehrere umfangreichere, offizielle Studien kamen teilweise zu anderen
Ergebnissen
5. Einige der Quellen der BLF-Studie sind unglaubwürdig
6. Es gibt keine Belege dafür, dass der THC-Gehalt von Cannabis auf das
15-Fache gestiegen wäre
7. Eine wirksame Reduzierung von Risiken ist nur durch Information und
nicht durch Repression möglich.
Mit Sicherheit wird auf diese Studie wieder verwiesen werden, wenn über
die Straffreistellung geringer Mengen Cannabis diskutiert wird. Dabei
verstehen die Autoren ihre Studie selbst nicht als Argument für oder
gegen eine Entkriminalisierung, da ihnen bewusst ist, dass
Konsumentscheidungen bei Cannabis unabhängig vom gesetzlichen Status
dieses Genussmittels getroffen werden. Ihnen geht es stattdessen um
gesundheitsbewusstes Verhalten der direkt Betroffenen:
„Viele junge Menschen werden sich entscheiden, Cannabis zu verwenden
oder nicht - unabhängig von seinem gesetzlichen Status. Wir haben die
Pflicht, sicherzustellen, dass sie das in voller Kenntnis der Risiken
tun, die mit dem Rauchen von Cannabis zusammenhängen.“
S.1, Studie im Volltext: http://www.lunguk.org/news/a_smoking_gun.pdf
Die Studie verweist auf einige bekannte Risiken, die auch von anderen
Wissenschaftlern angeführt werden. So stellt sie fest, dass
Cannabiskonsumenten eher an Husten und Bronchitis leiden als
Nichtkonsumenten. Ob Cannabis zu Lungenemphysema führe, stehe noch nicht
fest, da die Forschungsergebnisse widersprüchlich seien. Studien zu
Cannabis und Krebs der Atemwege hätten ebenfalls zu widersprüchlichen
Ergebnissen geführt.
Andere Aussagen der BLF-Studie sind fragwürdig, so etwa die Behauptung,
Ergebnisse von Langzeitstudien aus den 60er und 70er Jahren seien heute
nicht mehr aussagekräftig, weil der Wirkstoffgehalt von
Cannabiszigaretten seitdem um das 15-fache gestiegen sei. Tatsächlich
haben Experten darauf hingewiesen, dass konzentriertere Cannabisformen
nicht zu einer Steigerung sondern zu einer Reduzierung der Belastung der
Atemwege führen würden. So mag man es fast bedauern, dass die Behauptung
einer derartigen Änderung des Wirkstoffgehalts keiner Überprüfung
standhält. Die tatsächliche Veränderung war weit geringer.
Bei der BLF-Studie handelt es sich um keine klinische Studie mit neuen
Ergebnissen, sondern um eine Literaturstudie. Die BLF hat also nur
bestehende, teilweise schon wesentlich ältere Veröffentlichungen
ausgewertet, viele davon ihrerseits Literaturstudien. Eine davon ist ein
Artikel von Heather Ashton (Universität Newscastle), der voriges Jahr im
British Journal of Psychiatry erschien und auf den sich mehrere Aussagen
in der BLF-Studie stützen.
Die BLF-Studie beruft sich auch auf Frau Ashton, als sie behauptet, eine
durchschnittliche Cannabiszigarette habe in den 60er Jahren nur 10mg des
Wirkstoffs THC enthalten, während sie heute bis zu 150mg enthalte oder
gar bis zu 300mg, wenn Cannabisöl verwendet werde. Verhielte es sich mit
dem Wirkstoffgehalt und der Dosierung wie dargestellt, dann würde heute
ein Joint für bis 15 bis 30 Personen reichen, oder aber Cannabis wäre in
den 60er Jahren, als es Millionen an Anhängern gewann, fast wirkungslos
gewesen. Beide Annahmen entsprechen offensichtlich nicht den Tatsachen.
Frau Ashton hat für ihre Milligramm-Angaben einfach 1,5 Prozent für die
70er Jahre und 15% für heute mit einem Gramm multipliziert. Für die 60er
Jahre, von denen immer die Rede ist, gibt es in den USA keine
offiziellen Zahlen. In den 70er Jahren lag der übliche THC-Gehalt von
Cannabiskraut in den USA, woher diese Zahlen stammen, etwa zwei bis
dreimal so hoch als von Frau Ashton angesetzt, während er heute bei rund
der Hälfte des von ihr genannten Wertes liegt. Durch die Ernte von
weiblichen Pflanzen im unbestäubten Zustand (Sinsemilia) stieg der
durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Cannabiskraut in den USA zwischen
Mitte der 70er Jahre und Mitte der 80er Jahre von 3-4% auf 6-8% an, was
wieder dadurch kompensiert wurde, dass der durchschnittliche Joint von
0,5 auf 0,25g Cannabis schrumpfte. Eine Zunahme des Wirkstoffgehalts um
den Faktor 15 bis 30 entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Zu
berücksichtigen ist auch, dass noch bis in die 70er Jahre in den USA
wesentlich wirksameres Cannabisharz aus Nepal und Afghanistan auf dem
Markt war, das später fast komplett verschwand. Es handelte sich also um
die Ersetzung einer wirksamen Cannabisform durch eine andere.
In Europa holte erst in den 90er Jahren der Wirkstoffgehalt von
Cannabiskraut zunehmend auf den von Cannabisharz auf, ohne dass es aber
bisher zu einer weitgehenden Verdrängung gekommen wäre. Die inhalierte
Wirkstoffmenge pro Konsumeinheit blieb dabei im wesentlichen über die
Jahre konstant, weil Konsumenten die verwendete Menge Cannabiskraut an
den jeweiligen Wirkstoffgehalt anpassen. So wie man Wein oder Likör
nicht aus Maßkrügen trinkt, so wird auch Cannabis von höherem THC-Gehalt
in kleineren Portionen dosiert, bzw. weniger Züge davon inhaliert. Mit
dieser Entwicklung hat sich also die Lungenbelastung der Konsumenten
verringert.
Die BLF-Studie warnt vor einer Schwächung des Immunsystems bei
HIV-Infizierten, die Cannabis konsumieren. Doch die einzige dazu
zitierte Studie stammt von 1985, als die HIV-Forschung noch in ihren
Kinderschuhen steckte. Im Jahre 2000 fand eine von der US-Regierung
unterstützte Studie von Dr. Donald Abrams (UCSF), dass Cannabis keinen
schädlichen Einfluss auf das Immunsystem von HIV-Infizierten ausübte,
jedoch im Vergleich zu einem Placebo eine fast doppelt so hohe
Gewichtszunahme ermöglichte.
Anders als in Zeitungsüberschriften dargestellt, hat die BLF-Studie
nicht generell festgestellt, 3-4 Cannabisjoints seien so schädlich wie
20 Tabakzigaretten. Diesen Zusammenhang stellten die Autoren nur für die
Förderung von Bronchitis und die Reizung von Schleimhäuten her. Dr.
Tashkin (UCLA), auf den sich die BLF-Studie neben Frau Ashton zu diesem
Punkt beruft, hat sich ausdrücklich dagegen verwehrt, seine Ergebnisse
in dieser Art zu verallgemeinern.
Die IOM-Studie der amerikanischen Regierung schätzt, dass eine
Cannabis-Zigarette etwa so schädlich ist wie maximal zwei
Tabakszigaretten ("Marijuana and Medicine", Seite 111, 112). Der Bericht
weist darauf hin, dass Zigarettenraucher normalerweise wesentlich mehr
Zigaretten rauchen als Cannabiskonsumenten:
“Given a cigarette of comparable weight, as much as four times the
amount of tar can be deposited in the lungs of marijuana smokers as in
the lungs of tobacco smokers. The difference is due primarily to the
differences in filtration and smoking technique between tobacco and
marijuana smokers. Marijuana cigarettes usually do not have filters, and
marijuana smokers typically develop a larger puff volume, inhale more
deeply, and hold their breath several times longer than tobacco smokers.
However, a marijuana cigarette smoked recreationally typically is not
packed as tightly as a tobacco cigarette, and the smokable substance is
about half that in a tobacco cigarette. In addition, tobacco smokers
generally smoke considerably more cigarettes per day than do marijuana
smokers.” ("Marijuana and Medicine - Assessing the Science Base" / Seite 111/112)
Volltext: http://books.nap.edu/html/marimed/
Wenn das Rauchen von Cannabis tatsächlich schädlicher wäre als das
Rauchen von Tabak, dann wäre das ein Argument für mehr gesundheitliche
Aufklärung statt teurer Repression, die sich in den letzten drei
Jahrzehnten als ungeeignet erwiesen hat, eine stetige Verbreitung des
Cannabiskonsums zu verhindern. Die staatliche Gesundheitspolitik könnte
mehr erreichen, wenn sie Konsumenten von besonders riskanten
Konsumformen abraten würde. Würde z.B. Cannabis vorwiegend ohne Tabak
konsumiert, wie in Nordamerika üblich, dann könnte das
Abhängigkeitsrisiko durch Nikotin vermeiden und die Teerbelastung
verringern. Weitgehend nutzlose Versuche, die THC-Aufnahme durch langes
Inhalieren des Rauches zu steigern, sind in erster Linie eine Reaktion
auf die hohen Preise der Schwarzmarktware und könnten durch Aufklärung
vermieden werden.
Der Staat versucht durch Repression die Auswahl für Konsumenten
einzuschränken, um den Konsum unattraktiv zu machen. Das hat jedoch nur
zur Folge, dass Konsumenten dann auch minderwertige, wirkstoffarme Ware
rauchen, die besonders lungenbelastend ist, weil dabei zur Erzielung der
selben Wirkung mehr Rauch in Kauf genommen werden muss. Konsumenten
könnten bessere Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen, wenn der
THC-Gehalt von Cannabis auf der jeweiligen Verpackung stünde.
Auch neue Konsumtechniken könnten einen Beitrag zur Schadensminimierung
leisten. Verschiedene Firmen haben Vaporisierer zum rauchlosen Konsum
von Cannabis entwickelt. Ihr Besitz ist im größten Cannabismarkt der
Welt -- den USA -- illegal. In Großbritannien steht ein in
wissenschaftlichen Studien getesteter rauchloser Inhalierer für
Cannabisextrakte vor der Markteinführung, der alle beschriebenen Risiken
vermeidet. Doch nichtmedizinische Konsumenten werden ihn erst dann
verwenden können, wenn Cannabis wieder legal ist.
Joe Wein, Sprecher des Vereins für Drogenpolitik e.V.
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